Zwischen Panik und Gleichgültigkeit
Zum ersten Mal nach Ende des zweiten Weltkrieges hat der JGHV seinen Verbandstag abgesagt. Frühjahrsprüfungen finden nicht statt. Richterschulungen fallen aus. Eine Telefonkonferenz des JGHV-Präsidiums jagt die nächste. Hamsterkäufe bei Klopapier, Mehl und Hundefutter. Fragen und keine Antworten – ein Virus lähmt die Welt. Und wir? Mittendrin!
Was wie eine wirre Aufzählung klingt, ist leider Realität. Wer hätte sich das noch vor wenigen Wochen vorstellen können? Wer hätte sich vorstellen können, dass ganz Europa, ja fast die ganze Welt aus Angst vor einer Seuche, zum Schutz der Bevölkerung den „Lockdown“-Knopf drückt? Wer hätte sich vorstellen können, dass wir innerhalb kürzester Zeit unser globales Wirtschaftssystem an den Rand der Existenz bringen, und Millionen von Menschen in Angst und Schrecken leben? Wer aber wird uns Jahre später glauben, dass es in dieser Zeit Menschen gab, deren größte Sorge in diesen Tagen war, dass sie mit ihrem Hund keine Jugendsuche, keine Bringtreueprüfung oder keine Spurlautprüfung machen konnten?
Und der JGHV?
120 Jahre ist er alt, unser Verband. Darauf sind wir stolz. Stolz auf das Erreichte. Zwei Weltkriege hat der JGHV überstanden, die Weltwirtschaftskrise und die spanische Grippe, die in den Jahren 1918 bis 1920 weltweit fünfzig(!) Millionen Menschen das Leben kostete. Und jetzt? Der JGHV wird auch diese schwere Prüfung überstehen! Daran glaube ich, dafür arbeite ich, dafür arbeitet das gesamte Präsidium Ihres Verbandes und unsere Angestellten. Jagd und Jagdgebrauchshundewesen sind Teil unserer Kultur, sie sind fester Bestandteil des natürlichen Umgangs mit Wildtierpopulationen, sie sind Teil unserer Gesellschaft. Der JGHV ist mitten in dieser Gesellschaft!
Was ist zu tun?
Wer an den Untergang der Welt glaubt, muss sich keine Gedanken um das Morgen machen. Ich glaube an das Morgen und bin mir sicher, dass eine disziplinierte, engagierte Schar aus Jagdgebrauchshundeführern diese Herausforderung meistert.
Was ist aktuell zu tun? Wir müssen in allererster Linie das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden. Wichtig ist in diesen Tagen ausnahmslos die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und allem(!) voran unsere Gesundheit, die unserer Familien, Anverwandten, Freunde, Bekannten und aller restlichen Mitmenschen. Wichtig ist auch, dass wir in dieser schweren Zeit Teil der Gesellschaft sind und bleiben – eben „mittendrin“.
Wer in diesen Tagen, in denen in ganz Europa die Uhren still stehen, keine anderen Sorgen hat, als ein nicht absolviertes Derby, eine nicht geführte VJP oder JP, wer sich Sorgen um die Rücküberweisung seines Nenngeldes macht, wer Wehklage führt über eine nicht mögliche Anwartschaft oder einen Makel in der „Ordensschnalle“ seines Hundes, der, meine lieben Jägerinnen und Jäger, ist fern meiner bisherigen Vorstellungskraft menschlicher Geisteshaltung!
Pressemitteilung des JGHV
In einer Pressemitteilung hat sich das Präsidium des JGHV am 16. März 2020 an alle Führer, Richter und Vereine gewandt und ebenso höflich, wie eindringlich gebeten ab, sofort alle Frühjahrsprüfungen bis zum 19. April zu unterlassen. Der JGHV kann nur bitten, er kann nicht anordnen. Veranstalter sind die Mitgliedsvereine – nicht der JGHV! Der JGHV kann nur an gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein, an Solidarität und Fürsorgepflicht für unsere ältere Generation appellieren, an Herz und Verstand. Er kann nur Dinge anmahnen, die man eben hat oder nicht hat. Er kann nur von Menschen verstanden werden, die in der Lage sind zu empfinden, wie wir als Jäger mit Hund gesellschaftlich wahrgenommen werden, wenn wir in Zeiten größter Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung mit Flinte und Hund über die Felder laufen und Hunde prüfen. Der JGHV kann in seiner Bitte nur von Menschen verstanden werden, die heute wissen, wie wichtig es ist, dass ihr Dachverband, ihr Interessensvertreter auch in Zukunft als Teil der Gesellschaft und nicht als Randgruppe wahrgenommen wird. Sie bemerken richtig: von seuchenhygienischen Aspekten habe ich an dieser Stelle noch kein Wort verloren…..
Und nach dem 19. April?
Keiner von uns weiß heute, was nach dem 19. April ist. Keiner! Gemeinsam mit den Zuchtvereinen im JGHV werden zwei Szenarien entwickelt:
Szenario 1. Die Durchführung von Frühjahrsprüfungen ist gesetzlich möglich und aus gesellschaftlicher und seuchenhygienischer Sicht vertretbar. Der JGHV wird nahezu alle bürokratischen Hürden abbauen um sicherzustellen, dass möglichst viele Hunde in den wenigen bis zum 3.Mai verbleibenden Tagen geprüft werden können. Zu dieser Vorgehensweise gehört beispielhaft der Verzicht auf die Anmeldefrist der Prüfung gem. PO, die Möglichkeit mehrerer Prüfungen an einem Tag durch eine Richtergruppe bei gutem Niederwildbesatz, der Einsatz von Notrichtern (einer pro Gruppe) ohne weitere Begründung, die Möglichkeit schriftlich gefasster Richterbesprechungen u.a.m.. Keine Suchenlokale, keine Massenaufläufe, keine Zuschauerkorona. Klein, fein, sauber, aus der Not eine Tugend gemacht!
Szenario 2: Die Durchführung ist gesetzlich verboten oder aus Gründen fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz nicht vertretbar. Der JGHV wird ähnlich der „Notlösung Ente“ die Möglichkeit bieten, dass Hunde, deren Zuchtfreigabe vom Bestehen einer Arbeit auf der Hasenspur abhängt, nach Ende der Setz- und Brutzeit (also im Sommer nach der Getreideernte) auf der Hasenspur geprüft werden können. Die Kontrolle der Schussfestigkeit und die Wesensüberprüfung sind Bestandteil dieser Notlösung. Wir gehen davon aus, dass es dabei völlig illusorisch ist, alle Hunde im Herbst auf der Spur prüfen zu können. Es ist Aufgabe der einzelnen Zuchtvereine hier für den Prüfungsjahrgang 2020 ggfls. Änderungen der Zuchtordnungen für diesen Sonderfall zu beschließen und klar zu machen, dass nicht absolvierte Prüfungen, bspw. Derby/ VJP, keine Auswirkungen für weiterführende Prüfungen haben.
Zuchtvereine, die nicht auf die Prüfung des Jahrganges im Herbst diesen Jahres angewiesen sind, werden wir bitten, auf Prüfungen weitestgehend zu verzichten, damit wir mit der vorhandenen Kapazität an Richtern und Revieren das Arbeitsvolumen überhaupt stemmen können und das abarbeiten können, was notwendig ist. Wir müssen rasseübergreifend zusammenrücken. Es darf keine „Verlierergruppe“ und keine „Gewinnergruppe“ geben.
Was, wenn alles ganz anders wird?
Niemand hofft es, mancher ahnt es. Was passiert, wenn alles noch viel länger dauert? Wenn wir auch im Sommer und Herbst keine Prüfungen machen können, wenn in Europa abertausende von Toten zu beklagen sind. Was dann? Wirklich wissen tut dies keiner! Ich weiß es nicht!
Ich glaube ganz fest an das Morgen, ich glaube ganz fest an die Stärke Gleichgesinnter und ich bin fest überzeugt davon, dass es uns gelingt, aus dieser Krise als Gewinner herauszugehen, wenn es uns jetzt gelingt, in Respekt vor den Sorgen Dritter, in tiefer Dankbarkeit vor den Leistungen unserer älteren Generation und dem innigen Wunsch nach deren gesundheitlicher Unversehrtheit, mit Anstand und Moral zu zeigen, dass Jagd und Jägerschaft keine Randgruppe dieser Gesellschaft sind. Nur wenn wir klar aufzeigen, dass wir zwar engagiert für unsere Sache eintreten aber stets das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden können, dass wir eben „mittendrin“ sind, wird man in Politik und Gesellschaft uns morgen noch Gehör schenken. Bitte helfen Sie dabei mit!
Lassen Sie mich mit einem liebgewordenen Zitat schließen.
„Dankbar rückwärts, liebend seitwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts!“
Bleiben Sie und Ihre Familien gesund, ich freue mich auf’s Wiedersehen!
Ho Rüd Ho!
Ihr/Euer
Karl Walch, Präsident des JGHV
im Namen des gesamten Präsidiums